Drei Gaben

Ich träumte, eine Fee gewährte mir drei wunderbare Gaben. Freundlich sagte sie zu mir: „Geh hinaus in den Garten und du wirst die Gaben finden, die dein Leben auf immer bereichern werden. Achte sie und erfreue dich daran.“ Erwartungsvoll ging ich in den Garten hinaus und schaute mich um. Da sah ich einen Brunnen. Ich beugte mich hinab und erblickte klares Quellwasser darin. Angenehme Kühle schlug mir aus der Tiefe entgegen. Immer frisches Wasser zu haben war eine wunderbare Gabe! Das allein hätte mein Leben bereits für immer bereichert. So dachte ich im Traum. Voll Freude betrachtete ich das klare Nass, das ich mit einem Kübel und einer Winde jederzeit heraufholen konnte. Da blitzte etwas tief unten. Ich schaute genauer hin und entdeckte ganz aufgeregt einen riesigen Diamanten, der da mitten im Brunnen lag. Ob ich ihn je bergen würde können? Ich staunte über dieses geheimnisvolle Geschenk, denn egal, ob der Diamant heraufgeholt werden konnte oder nicht, er gehörte mir. Zufrieden ließ ich den Kübel herab und trank von dem klaren köstlichen Wasser.

Als nächstes entdeckte ich einen prächtigen Baum. Er war wunderschön. Ich jubelte und tanzte wie ein Kind um diesen Baum, umarmte seinen schönen Stamm, fühlte den bergenden Schatten und bewunderte die mächtige grüne Krone dieses freundlichen, segensreichen Wesens, als was ich Bäume immer empfinde. Ich würde später eine Leiter aufstellen und mich wie ein Eichhörnchen im Geäst verstecken. Wie aufregend! So reiche Gaben! Da fiel eine pfirsichgroße Frucht herab, direkt vor meine Füße. Ich kostete sie und fand sie herrlich. Sie schmeckte nach nussigen Äpfeln, nach kastanienartigen Trauben, nach Brot und Himbeeren. In dieser Frucht war alles Gute. Da kicherte die Fee hinter mir. „Du hast alles, was du brauchst, denn dieser Baum trägt immer Früchte“, sagte sie. Dann zeigte sie feierlich auf einen Jutesack, der an dem Baum lehnte. „Und hier die letzte Gabe. Auch sie ist wunderbar“, flüsterte sie vertraulich, lächelte mich an und verschwand.

Neugierig öffnete ich den Sack. Der angenehme Duft frischer Humuserde schlug mir entgegen. Tief atmete ich ihn ein und genoss dieses Aroma, dann griff ich in den Sack und wühlte darin. Verspielt ließ ich die Erde durch die Finger rieseln, formte kleine Knödel daraus, die ich dann wieder lustvoll zerbröselte. Wahrlich, ein wertvolles Geschenk, doch ahnte ich, dass mehr dahinter steckte, als gute Blumenerde. Ich blickte mich nach der Fee um, damit sie mir die Bedeutung dieser dritten Gabe erklären möge, doch in diesem Augenblick, da ich mich umwandte, wachte ich auf.

Der Traum beschäftigte mich am folgenden Tag, denn ich hatte ihn mir nicht nur in allen Einzelheiten gemerkt, ich spürte auch, dass er sehr aufschlussreich für mich sein könnte, wenn ich ihn zu deuten wüsste. Immer wieder dachte ich darüber nach und genoss vor allem den ersten Teil des Traumes: die Gabe des Quellwassers im Brunnen mit dem großen Diamanten darin. Allein daran zu denken hob meine Stimmung. Was bedeutete das Wasser und was der Diamant?

Der Vormittag war irgendwie lustig, eine Kollegin hatte Geburtstag und wir trafen uns im Gemeinschaftsraum. Die Vorgesetzte hielt eine kleine Rede, dann gab es Brötchen und etwas Sekt. Danach unterhielt ich mich mit der Kollegin und fühlte, dass es auch für sie ein schönes Gespräch war. In diesem Augenblick wusste ich plötzlich, was das Quellwasser zu bedeuten hatte: es ist die Liebe im Leben. Jede Form freundlicher Begegnung und mehr noch, jede Art aufbauender Beziehung ist eine Form der Liebe. Und mit diesem Wissen wurde mir auch schlagartig klar, was es mit dem Diamanten auf sich hatte. Es war meine heimliche romantische Neigung zu Armin, meinem Kollegen von der Kreativabteilung unserer Firma. Ich hatte leider selten mit ihm zu tun und wusste nur, dass er Single war. Stets war er freundlich zu mir, aber das war er zu allen. Er war der freundlichste Mensch, den ich mir vorstellen konnte und in meinen Augen der anziehendste. Leider wusste ich weder, ob er mich überhaupt bemerkte, noch, wie ich mich bemerkbar machen könnte, ohne mich zu blamieren. So lebte ich meine Zuneigung im Geheimen und wusste, dass der Diamant in der Tiefe meines Herzens lag und funkelte. Das allein bereicherte mich schon. Würde ich Kübel und Winde im realen Leben nutzen können, um den Diamanten zu heben?

Als ich nach der Arbeit rasch ein paar Lebensmittel einkaufte, lief mir bei der Obtsabteilung das Wasser im Mund zusammen. Ich sammelte Ananas, Äpfel, Bananen und Trauben und malte mir bereits aus, wie gut das Müsli schmecken würde, das ich mir dann zubereitete. Großzügig lud ich mich auf einen guten Tropfen Welschriesling ein, vielleicht würde ich mir bereits an diesem Abend ein kleines Gläschen gönnen. So ging es dahin, die Einkaufstasche war prall gefüllt und ich fühlte mich reich.  Als ich alles in der Küche verstaute, wusste ich plötzlich: das ist mein immer tragender Baum: Ich bin leistungsfähig, habe einen Beruf, der mir meistens Freude bereitet und verdiene regelmäßig ausreichend Geld, um mir jederzeit alles zu kaufen, was ich zum Leben brauche. Ich musste beim Wein nicht überlegen, ob ich ihn mir leisten konnte und auch nicht bei anderen Lebensmitteln. Dass ich nicht prasste oder unvorsichtig mit Geld umging, war Teil dieses Reichtums, Teil dieses wunderbaren Baumes. Zur Feier solch aufbauender Erkenntnis aß ich ein paar Scheiben von der erfrischenden süßen Ananas und legte den Wein in den Kühlschrank – für später.

Was für ein wunderbarer Tag! Was für ein schöner Traum! Was für ein reiches Leben! Dass ich die Bedeutung der dritten Gabe, der Erde, noch nicht wusste, machte mir nicht viel aus. Irgendwie spürte ich, dass ich auch das erfahren würde. Und tatsächlich, sobald ich tief eingeschlafen war, tupfte mir die Fee auf die Schulter. Ich saß gerade im Gras mit dem Rücken an den schönen großen Baum gelehnt. Neben mir lehnte der Jutesack mit der Erde darin. Die Fee setzte sich zu mir ins Gras, überkreuzte die Beine und wühlte so wie ich beim letzten Traum in der Erde herum. „Das bist du“, sagte sie feierlich und lächelte mich liebevoll an. Ich wusste, dass sie nicht scherzte und dass sie es immer gut mit mir meinte, darum wartete ich auf weitere Erklärungen, denn mit dieser überforderte sie gerade etwas meine Auffassungsfähigkeit. „Schau!“ sagte sie glücklich und reichte mir ihre zur Schale geformten Hände, in der ein Häufchen Erde lag. Ich roch daran. Es roch gut. Fragend schaute ich sie an. „Da ist Sonne und Leben, da ist Keimen, Wachsen, Hoffen, Ernten, Freude und Gemeinschaft in der Erde. Da ist Brot und Hingabe. Da ist  Abschied und Tod. Da sind Prozesse und Zuversicht. Du lebst daraus und bettest dich einst darin, um von der Sonne geküsst zu werden und neu zu erstehen. Das alles bist du.“ Würdevoll hob sie die Arme und ließ die Erde über meinen Kopf rieseln. So wurde ich zu Gras und Blume, zum Baum und zu seinen Früchten. Ich wurde zum Regenwurm, aber auch zum Vogel, der mich hervorzerrt, um mich seinen Jungen als Nahrung zu bringen. Ich wurde die Ernte und der Schweiß des Bauern. Ich wurde das Brot und wurde Gemeinschaft. Ich wurde so richtig ich.

Mit jedem Tag etwas mehr Weisheit,

noch mehr Dankbarkeit –

welch schönes Altern!

 

 

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Wörth 22

 

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